27. Januar 2022

Mit KI Prozesse optimieren und effizienter gestalten

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Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) halten Einzug in die Fabrikhallen. KI ist ein Werkzeug, und wie bei jedem anderen Werkzeug ist zu entscheiden, ob und wann ein Einsatz sinnvoll ist oder nicht – sagt Prof. Marco Huber vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. In einem Exklusiv-Interview mit Schall-Messen erläutert er uns, dass es viele gute Gründe gibt, warum Menschen und KI-Systeme Hand in Hand arbeiten können und sollten. Und zeigt einen praktischen Weg, wie KMUs den praktischen Einstieg in die KI finden.

Herr Professor Huber, es heißt, die Künstliche Intelligenz (KI) halte Einzug in die industrielle Fertigung – die Rede ist auch von Machine Learning oder Deep Learning. Zur Aufklärung: Bitte nennen Sie uns Ihre Definitionen und Abgrenzungen.

Eine eindeutige Definition des Begriffs KI gibt es leider nicht. Für mich geht es bei der Künstlichen Intelligenz um das Lösen von Problemen, die vom Menschen intelligentes Handeln erfordern. Neben dem maschinellen Lernen, dem derzeit aktivsten Teilgebiet, sind auch Planungs- und Suchalgorithmen, Logik oder die Robotik Teil der KI. Das KI-Teilgebiet maschinelles Lernen nutzt Muster in Daten, um damit datenbasierte Entscheidungen zu treffen. Der Begriff „Lernen“ bezieht sich auf das Erkennen dieser Muster und deren Überführung in ein statistisches Modell, welches dann auf neue Daten angewendet werden kann. Dabei gibt es vielfältige Modellarten. Derzeit sehr populär sind die künstlichen neuronalen Netze, die in ihrer Funktionsweise in etwa den menschlichen Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn nachgebildet wurden. Bestehen diese Netze aus sehr vielen Schichten, sind sie also tief, dann spricht man von „Deep Learning“.

KI ist ja bereits einige Jahrzehnte ein Forschungsthema, aber erst in den letzten Jahren hat es aufgrund der verfügbaren starken Rechenleistungen, großen Datenmengen und intelligenten Algorithmen richtig Auftrieb erhalten. KI bietet sehr viele Chancen, allerdings ist der Weg von Forschungsergebnissen in die Praxis für Unternehmen oft noch schwierig, weil es an Wissen oder Ressourcen fehlt. Eine weitere Herausforderung ist der „Black-Box-Charakter“ vieler ML-basierter Verfahren. Das heißt, dass selbst Experten nicht immer genau nachvollziehen können, warum ein Ergebnis zustande gekommen ist. Dies kann zu rechtlichen Problemen, aber auch zu mangelndem Vertrauen und mangelnder Akzeptanz aufseiten der Anwender führen. Deshalb forschen wir intensiv an Verfahren zur Erklärbarkeit von KI-Verfahren (xAI, explainable AI).

In welchen Bereichen der Produktion sind Verfahren mit KI schon im Einsatz? Wo macht KI in der Fabrikhalle Sinn – und wo gar nicht?

Zu den klassischen Anwendungen im Umfeld der Künstlichen Intelligenz gehört die Qualitätsprüfung durch Kamerasysteme. Dabei ergänzen kameragestützte Systeme den Menschen als Qualitätsprüfer oder übernehmen diese Aufgabe vollständig, wenn eine automatisierte Lösung ausreichend Mehrwerte bietet. Beispielsweise wenn es darum geht, Schäden im Fahrzeuglack aufzuspüren oder Schweißnähte zu überprüfen. Die Auswertung der Bilddaten erfolgt zunehmend über Algorithmen, die dem Bereich der Künstlichen Intelligenz zuzuschreiben sind.

Ein weiteres Anwendungsfeld ist die vorausschauende Instandhaltung. Die Idee dabei ist, dass man im Vorhinein weiß, wann die Lebensdauer einer bestimmten Produktionsmaschine endet und sich die Maschine so maximal nutzen lässt, bevor sie ausfällt. Zum Zeitpunkt des Ausfalls können dann bereits die Reparaturmannschaft und die benötigten Ersatzteile bereitstehen. Auch dafür lassen sich spezielle Algorithmen aus dem Umfeld der KI verwenden. In einer wissenschaftlichen Studie am Fraunhofer IPA konnten wir nachweisen, dass der KI-Ansatz im Bereich der Instandhaltung besser funktioniert als bisher genutzte Heuristiken und mathematische Optimierungsansätze. Das heißt, es wurde mehr produziert, weil es weniger ungeplante Stillstände gab. Und die Produktionskosten fielen geringer aus, weil es keine sogenannten fatalen Ausfälle gab, sondern nur geplante.

Im Grunde ist KI als Werkzeug zu betrachten. Und wie bei jedem anderen Werkzeug ist auch hier zu entscheiden, ob und wann ein Einsatz sinnvoll ist oder nicht. Maschinelles Lernen eignet sich dann, wenn die Ursache-Wirkzusammenhänge nicht bekannt sind oder nicht beschrieben werden können, aber stattdessen ausreichend Daten zur Verfügung stehen. Liegt also beispielsweise ein mathematisches Modell vor, wie es bei zahlreichen Regelungsproblemen der Fall ist, dann ist KI meist unnötig oder lediglich eine Ergänzung zum bestehenden Verfahren.

Und ein weiterer Aspekt im Kontext der Sinnhaftigkeit von maschinellem Lernen in Produktionen ist natürlich, dass das maschinelle Lernen auf Daten angewiesen ist. Und diese Daten stehen leider nicht überall zur Verfügung. Beispielsweise kann das bei der eben genannten Qualitätsprüfung mit Kameras in der Produktion der Fall sein. Da wäre es hilfreich, wenn Beispieldaten von Defekten vorhanden wären, um genau diese zuverlässig erkennen zu können. Aber in einer guten Produktion sollte es eigentlich nur wenige Defekte geben. Um einen Algorithmus anzutrainieren, der aber solche Defekte erkennen kann, arbeiten wir deshalb daran, die Daten künstlich zu erzeugen. Oder es wird ein Algorithmus gewählt, der zwar keinen Defekt erkennt, aber gut darin ist zu beurteilen, ob sich die Maschine noch im Normalzustand befindet. Denn vom Normalzustand gibt es in einer gut laufenden Produktion Daten in Hülle und Fülle.

Welche Nachteile und Risiken gibt es? Ein Vorbehalt könnte sein: „Das System übernimmt irgendwann alle Abläufe, der Mensch bleibt außen vor – die Kontrolle ist weg!“ Sind diese Einwände berechtigt?

Diese Vorbehalte kennen wir natürlich und ich finde es auch sehr wichtig, diese ernst zu nehmen und die Nutzer einer KI-Anwendung ‚mitzunehmen‘. Denn kurz- bis mittelfristig wird es auf jeden Fall so sein, dass KI-basierte Technologien den Menschen unterstützen, vielleicht eine spezielle Teilaufgabe allein und autonom ausführen, aber der Mensch nach wie vor eine zentrale Funktion im Produktionsumfeld haben wird.

Bis heute gilt ja im Bereich der KI das berühmte Zitat von Steven Pinker: „Die schweren Probleme sind leicht und die leichten Probleme sind schwer.“ Das bedeutet, dass Probleme, die für den Menschen leicht sind, wie Kreativität, Manipulation oder Wahrnehmung, für KI sehr schwer sind. Andere Probleme wie das Heben schwerer Gegenstände oder das Rechnen mit großen Zahlen sind für Menschen schwer, für künstliche Systeme aber leicht. Es gibt also viele gute Gründe, warum Menschen und KI-Systeme Hand in Hand arbeiten können und sollten. Die KI kann Aufgaben übernehmen, die für den Menschen beispielsweise sehr monoton oder zu rechenintensiv sind, sodass sich die menschlichen Arbeitskräfte auf höherwertige Aufgaben konzentrieren können, die von den Stärken des Menschen profitieren. Um dies zu erreichen, muss bei der Entwicklung von KI-Systemen ein menschenzentrierter Ansatz verfolgt werden, d. h. KI-Systeme sollten sich an den Bedürfnissen, Werten und dem Wohlbefinden der Menschen orientieren, um so Vertrauen und Akzeptanz zu gewinnen und auch dem Menschen stets die Kontrolle zu ermöglichen. Auf diese Weise wird ein KI-System für alle bedienbar: Es nimmt den Menschen wahr, versteht ihn, ahmt ihn nach und unterstützt ihn aktiv.

Welche Vorteile kann ein Produktionsunternehmen aus dem Einsatz von KI schöpfen?

Das pauschal zu benennen ist natürlich nicht so einfach, denn es kommt auf die Voraussetzungen und Ziele des einzelnen Unternehmens an, um genau bewerten zu können, welche Vorteile der KI-Einsatz bietet. Grundsätzlich ermöglicht KI, oder genauer der Einsatz von maschinellem Lernen, einen höheren Autonomiegrad (im Sinne einer „Automatisierung der Automatisierung“) und oft auch eine bessere Genauigkeit oder Lösungskompetenz in der Ausführung einer speziellen Aufgabe. Konkret kann dies bedeuten, dass ein Unternehmen Geld spart, wenn es die Instandhaltungsplanung KI-basiert ausführt, weil es eben wie oben genannt zu weniger Stillständen und Ausfällen kommt. Wird KI eingesetzt, um die Produktionsplanung und -steuerung zu optimieren, kann bisher personengebundenes Wissen jetzt in das KI-System fließen, sodass das Wissen breiter und schneller nutzbar ist.

KI kann also helfen, Prozesse zu optimieren und effizienter zu gestalten. Wenn man an die Robotik denkt, dann reduziert KI Programmieraufwände, weil nicht mehr jeder einzelne Prozessschritt manuell programmiert werden muss, sondern sich das Robotersystem selbst auf Abweichungen im Prozess oder neue Werkstücke einstellen und seine Parameter entsprechend anpassen kann. Dies ist insbesondere für eine zunehmend personalisierte Produktion entscheidend, wo die bisher nötigen Programmieraufwände den Robotereinsatz schnell unwirtschaftlich machen könnten. Nicht zuletzt kann KI herausfordernde Aufgaben wie den Griff-in-die-Kiste für Roboter vereinfachen, beispielsweise indem eine leistungsstarke Bilderkennung auch spiegelnde oder reflektierende Objekte gut wahrnehmen kann oder das Robotersystem sogar erkennt, ob Bauteile verhakt sind und wie sich dies lösen lässt.

Wie können KMUs den praktischen Einstieg in die Verwendung von KI finden?

Wir haben bereits eine dreistellige Anzahl an KI-Projekten mit KMU durchgeführt. Aus diesen umfassenden Erfahrungen wissen wir, dass das Interesse meist zwar grundsätzlich vorhanden und manchmal auch groß ist. Aber oft mangelt es wechselweise an Zeit und/oder Geld und insbesondere an Expertise. Nicht zuletzt fehlen auch oft ganz simpel die Daten bzw. deren sinnvolle Aufbereitung, um überhaupt Anwendungen mit maschinellem Lernen umzusetzen, denn zumindest dieses KI-Teilgebiet basiert eben auf mehr oder weniger großen Datenmengen, die vorliegen sollten oder real oder in Simulationen erzeugt werden müssen.

Nach meiner Erfahrung gibt es vier bedenkenswerte Punkte, damit sich KI-Lösungen in Unternehmen schnell rechnen:

  • Klein anfangen, groß denken: Suchen Sie sich zuerst „Low-hanging fruits“. So ergeben sich schnelle Ergebnisse, erste Erkenntnisse und damit Argumentationshilfen im Unternehmen. Mit dieser Erfahrung kann man größere Herausforderungen angehen.
  • Fangen Sie früh an: Identifizieren Sie frühzeitig sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten für KI. Nutzen Sie kurze Entwicklungszyklen, um schnell voranzukommen und bei Schwierigkeiten agil gegensteuern zu können. So kommt man schnell zu Prototypen.
  • Achten Sie auf den Nutzen: Letztlich steht und fällt ein KI-Projekt mit dessen Mehrwert. Lassen Sie die Fachabteilung das Thema vorantreiben und nicht unbedingt die IT-Abteilung.
  • Nehmen Sie alle mit: Vergessen Sie die Mitarbeitenden nicht. Wenn Sie diese von den Vorteilen eines KI-Projekts überzeugen können, verhindert das unnötige Blockaden.

Gerade wenn es Startschwierigkeiten oder Unklarheit über Vorteile und Nutzen von KI für ein Unternehmen gibt, empfehle ich, Expertenrat einzuholen. Beispielsweise bietet das KI-Fortschrittszentrum der Fraunhofer-Institute IPA und IAO verschiedene Förderformate. Diese gehen auf Einsteigerfragen ein, bieten kurze Machbarkeitsstudien oder ermöglichen den Bau eines Demonstrators.

Auf welche Weise demonstrieren Sie bzw. Ihr Institut den Einsatz von KI in industriellen Produktionsprozessen im Rahmen von Präsenzmessen, etwa der nächsten Motek im Oktober 2022 in Stuttgart?

Bei uns am Institut gibt es einige Demonstratoren und Exponate, die wir sicher dieses Jahr auf Messen, aber auch im Rahmen von hauseigenen Veranstaltungen präsentieren werden. Hoffen wir, dass Richtung Sommer wieder mehr Präsenz möglich sein wird…

Mit dem Exponat „AI Picking“ zeigen wir, wie maschinelle Lernverfahren und Simulationen die Anwendung hinsichtlich Autonomie und Leistungsfähigkeit signifikant verbessern. Die Wissenschaftler führen dies am Beispiel eines Roboters vor, der Objekte aus undefinierter Lage aus einer Kiste greift. Eine KI-basierte Objektlageschätzung liefert hierfür robuste und akkurate Objektlagen in wenigen Millisekunden. Neue Objekte lassen sich auf Basis eines CAD-Modells schnell und einfach einlernen. Die Software kann zudem die bereits oben erwähnten Verhakungen detektieren und lösen und auch mit Verpackungsmaterial robust umgehen. Der Roboter wurde bereits in der Simulation umfassend trainiert und dieses Wissen haben wir dann auf die reale Anwendung übertragen. Greifposen generiert und bewertet die Software ebenfalls basierend auf diesem Wissen.

Eine Software für die Montageautomatisierung ist NeuroCAD. Sie analysiert mithilfe maschineller Lernverfahren Bauteileigenschaften und ermittelt daraus eine Einschätzung, inwieweit sich ein Bauteil für eine Montageautomatisierung eignet. Anwender können auf einer Website ihre STEP-Dateien kostenlos hochladen und erfahren innerhalb weniger Sekunden, wie einfach oder schwer ein Bauteil zu vereinzeln ist. Außerdem bewertet das Tool die Greifflächen und die Ausrichtbarkeit des Bauteils. Zusätzlich nennt das neuronale Netz eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass es mit seinem Ergebnis richtigliegt.

Aus meiner Forschungsgruppe kommt ein weiterer Demonstrator, der viele Branchen und Anwendungen adressiert. Mit ihm führen wir vor, wie bislang intransparent agierende KI-Verfahren nachvollziehbar und erklärbar werden können. Denn wie ich weiter oben erwähnte, werden die Transparenz oder der sogenannte „White-Box-Charakter“ von KI-Anwendungen immer wichtiger – sei es aufgrund rechtlicher Vorgaben wie auch zur Vertrauensbildung aufseiten der Nutzer. Und weil dieses Thema immer relevanter wird, bieten wir hier für alle Anwenderbedarfe das passende Angebot: von der Identifikation von Anwendungsfällen über die Erstellung von erklärbaren KI-Modellen und deren Einsatz in Kundenanwendungen bis hin zur Erzeugung von Erklärungen für bereits trainierte KI-Modelle und Verfahren zur Erstellung von Transparenz.

Vita – Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Marco Huber: Nach Informatik-Studium und erfolgreicher Promotion an der Universität Karlsruhe (TH), leitete Prof. Huber von 2009 bis 2011 die Forschungsgruppe „Variable Bildgewinnung und -Verarbeitung“ des Fraunhofer IOSB in Karlsruhe. Im Anschluss war er bis 2015 als Senior Researcher bei AGT International in Darmstadt tätig. Von April 2015 und bis September 2018 verantwortete Prof. Huber die Produktentwicklung und die Data-Science-Dienstleistungen des Bereichs Katana bei der USU Software AG in Karlsruhe. Zugleich lehrte er nach erfolgreicher Habilitation als Privatdozent für Informatik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Seit Oktober 2018 ist er Inhaber der Professur für kognitive Produktionssysteme an der Universität Stuttgart. Zugleich leitet er die Abteilungen Bild- und Signalverarbeitung sowie Cyber Cognitive Intelligence (CCI) am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart. Seine Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf die Themen maschinelles Lernen, erklärbare Künstliche Intelligenz (xAI), Sensordatenanalyse, Bildverarbeitung und Robotik im produktionstechnischen Umfeld.

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